Der glücklich machende Populismus

Ein Zeitreisebericht aus der Freien Waldorfschule Leipzig vom 26. bis 27. März 2018

Die Fortschritts-Partei X betreibt einen sehr erfolgreichen Wahlkampf, der sie schon länger mit guten Wahlergebnissen belohnt hat. Da das Leben in dieser Zeit stark von technischen Errungenschaften dominiert wird, fällt es der Partei leicht, die von den Bürgern geäußerten Wünsche für den Wahlkampf geschickt zu nutzen.

Aus Sicht der Wähler verwirklicht sich so auf magische Weise genau das, was eben noch im Gespräch auf der Parkbank erwähnt wurde. Letztendlich wertet die Partei X riesige Mengen an Daten aus, individualisiert und kombiniert diese für die perfekte Wahlwerbung. Die Partei X sorgt dafür, dass technisches Know-how günstig und für jeden zugänglich ist. Über die technische Vernetzung kann die Regierung so möglichst viele Daten erhalten und Kontrolle ausüben. Big Data und politische Macht gehen eine vielversprechende Ehe ein.


Im Jahr 2038 lebt ein Großteil der Bevölkerung zufrieden, auch wenn der Unterschied zwischen Arm und Reich sehr drastisch ist. Das Programm der Partei X besteht nicht aus großen Visionen oder hehren Ideen. Sie wirbt damit, ganz nah am Bürger zu sein und sich um die „echten“ und ganz praktischen Bedürfnisse zu kümmern. Eigentlich geht es ihr aber vor allem um den Sieg im nächsten Wahlkampf. Die Strategie: Den Bürgern werden gemäß ihrer Wünsche Versprechungen gemacht und dann umgehend erfüllt.

Eine Szene, die sich im Jahr 2038 zugetragen hat…

Zwei junge Menschen sitzen im Park, schauen auf ihre futuristischen Smartphones und wischen wild hin und her.

Jim: Och man, die Verbindung ist schon wieder schlecht, wollten die nicht schon lange Highspeed im ganzen Stadtbereich einführen? Das ist wohl wieder nix geworden.
Jane: Ja… möglich.
Jim: Ich meine, da will man einmal ein paar Sachen zwischendurch erledigen und dann so etwas. Hier lädt ja echt gar nichts!

Beide sitzen wieder ein bisschen herum und schweigen sich an.
Jane: Bald sind Wahlen, oder?
Jim: Ja, warte. (schaut kurz nach) Ja, in nicht ganz zwei Wochen.
Jane: Hm…
Kurze Pause. Jane versucht, ihr Gerät in die Tasche zu stecken, es fällt runter.
Jane: Verdammt, das passiert mir andauernd. Diese Teile sind echt zu unhandlich, um sie in die Tasche zu verstauen. Das ärgert mich – da können die da oben doch mal was tun.
Jim: Ja, das ging mir auch so, aber jetzt hab ich ein kleines.
Jane: Ok. Aber so einen kleinen Bildschirm will ich nun auch wieder nicht haben.
Jim: Naja, sei froh, dass es nicht kaputt gegangen ist, das ist mir schon öfter passiert.
Jane: Wäre es nicht praktisch, wenn man das Ding einfach aufklappen könnte, und wenn man fertig ist, klappt man es zusammen und zack. Einfach ein kleines Teil, was in die Tasche passt. Und etwas stabiler könnte es auch sein. Nach dem Motto „so haltbar wie faltbar“.
Jim: Das ist eine tolle Idee!

Zwei Personen in einem Sitzungsraum.
Mitglied Nr. 1: Willkommen zur heutigen Vorstandssitzung der Fortschritts-Partei X. Heutiges Thema ist nochmal der Wahlkampf. Wir fahren weiterhin unsere bisherige Strategie – wir ködern die Wähler mit ihren individuellen Wünschen. Ein bisschen technischer Fimmel und schon fressen sie uns aus der Hand. Nun, dann lasst uns beginnen.
Sie holen Brillen hervor, drücken an der Bügelhalterung auf einen Knopf, setzen sie sich auf, schauen wie ziellos in verschiedene Richtungen und wischen mit den Händen in der Luft herum.
Mitglied Nr. 2: Also, ich sehe gerade, das unter der wohlhabenden Bevölkerung der Wunsch nach frischer Luft besteht.
Nr. 1: Ja, und was wollen wir da machen? Die fetten Autos verbieten?
Nr. 2: Nee, das geht nicht. Aber man könnte etwas entwickeln, was den damaligen E-Zigaretten ähnelt, nur dass frische Luft rauskommt.
Nr. 1: Ja, das ist ‘ne Idee, da könnte man dann auch Harz- und Ostseeluftgeschmack verkaufen. Ich leite das direkt weiter an die Abteilung Grafikdesign (sie fahren fort mit ihrer Wischerei).
Nr. 1: (setzt seine Brille ab) Was ist denn nur wieder los, die Verbindung stockt.
Nr. 2: Das habe ich auch oft gesehen, es wird eine bessere Internetverbindung gewünscht, das leite ich auch gleich mal weiter.
Nr. 1: Ah, jetzt geht’s wieder.
Nr. 2: Ich habe hier noch den Wunsch einer Jane Douglas, da gibt’s ein Video von. (schaut sich das Video an) Sie wünscht sich ein faltbares und stabileres Smartphone, das leite ich weiter an die Abteilung für individuelle Werbung.
Nr. 1: Ich würde davon auch ein paar Plakate in ihrer näheren Umgebung aufhängen lassen.

Ein öffentlicher Platz, Jim und Jane laufen vorbei, die Blicke auf ihre Geräte gerichtet. Sie bleiben stehen.
Jim: Schau mal, da sind die neuen Plakate. (liest) Wähl die Fortschritts-Partei X und Du bekommst überall Highspeed-Internetzugang gratis. (zu Jane) Das ist ja toll, die wähl ich.
Jane: Und hier (liest kurz), die wollen jetzt faltbare und stabilere Geräte rausbringen, genau das, was ich Dir vor 2 Wochen erzählt habe.

Eine Passantin hört das Gespräch zufällig mit.
Passantin: Aber Ihr wollt die doch nicht wirklich deswegen wählen?
Jim: Wieso nicht?
Passantin: Naja, es gibt ja noch andere wichtige Sachen, zum Beispiel die Partei da drüben, die möchte, dass das Einkommen gleichmäßiger verteilt wird.
Jim: Pffff…
Passantin: Denkt doch mal nach, bevor Du wählst!
Jane: (tippt kurz auf ihr Smartphone) Zu spät!